Sage von der Müllerels

Die Sage von der Müllerels‘ von Nikolaus Maurer
(Beitrag von Beate Kiene)

Dort, wo das Städtchen Mühlheim a.D. freundlich vom Hügelrand in das Tal hinabgrüßt, mündet ihm gegenüber das Lippachtal ins Donautal ein. Auf alten Flurkarten wird das Lippachtal als Illertal bezeichnet. Es erstreckt sich in zwei Stunden Wegeslänge durch Wiesenland und Wald bis zu dem hochgelegenen Heubergdorfe Böttingen. In seiner oberen Hälfte liegen am Bergesrand hingebettet die Lippachmühlen. Die untere Hälfte wird von einem kühn aus dem Walde aufstrebenden Felsen, Walterstein genannt, beherrscht. Auf diesem Felsen stand vor vielen hundert Jahren eine stolze Burg, in denen die Ritter von Stein hausten. Unten im Tale aber an der Einmündung der bewaldeten Schlucht, die von dem auf Bergeshöh gelegenen Dorfe Kolbingen ins Lippachtal sich senkte, stand eine Mühle. Die Schlucht führt darum heute noch den Namen Mühletal. Weiter talabwärts, da wo der aus dem Mühlenweg kommende Waldweg sich mit der Talstraße vereinigt, liegt vom Weg und vom Bach begrenzt eine langgestreckte Wiese. „Müllerels“ wird sie genannt und von dem Entstehen dieses Namens wird folgende Sage erzählt.
Zur Zeit, da droben auf der Burg Hans Walter, ein noch junger, gewalttätiger und leidenschaftlicher Ritter herrschte, lebte unten in der Mühle ein redlicher Müller mit seinem Weibe. Der Müllersleute einziges Kind hieß Elisabeth und stand in des Lebens Maienzeit. Und weil das Mädchen so schön und unberührt war wie die Blumen am Bergeshange und Augen hatte so hell und so froh wie der kristallklare, hüpfende Bach, nannte man es in den Dörfern und Höfen nur die „schöne Müllerelse“. Still und glücklich gingen der Müllersfamilie die Tage dahin, bis zur Stunde, da Hans Walter in ihr Leben trat. Der kam einmal müde und durstig vom Jagen auf dem Heimweg zur Burg an der Mühle vorbei. Während er am Bach seinen Durst löschte, sah er Schön-Elschen im Garten arbeiten. Er sah die liebliche Schönheit des holden Mädchens und sein Herz entbrannte in heißer Leidenschaft. Schön-Elschen aber floh vor seinen wilden, begehrlichen Blicken ins Haus und versteckte sich dort. Fast täglich umlauerte von nun an der Ritter, um Schön-Else zu treffen, die Mühle. Als wenige Tage später an einem Sonntage das Müllermädchen nach Mühlheim zur Kirche ging, ging ihm der Ritter nach. Im Hohlweg unter dem Henkersteig vertrat er ihm, als es wieder heimwärts wanderte, den Weg und forderte von ihm seine Ehre. Else stieß den Frechen von sich und schrie laut um Hilfe. Nachfolgende Kirchgänger hörten ihr Rufen, eilten herzu und so mußte Hans Walter mit Schande abziehen. Das wurmte den hochfahrenden Ritter schwer und in maßlosem Zorn schwur er Schön-Elschen grausige Rache. Da aber Schön-Elschen und noch mehr ihre Eltern sehr auf der Hut waren, bot sich ihm lange keine Gelegenheit dazu.
Zur Zeit der Heuernte war es. Der Müller und sein Kind mähten auf der Wiese zwischen Weg und Bach. Auf dem Söller der Burg stand der Ritter und schaute finsteren Blickes den Beiden im Tale zu. Durch seine Seele ging ein teuflischer Plan. Kurz entschlossen rief er seinen Leibjäger und befahl ihm, sich als Handelsmann zu verkleiden und in die Mühle zu gehen. Dort müsse er darauf bestehen, den Müller unverzüglich zu sprechen. Er müsse aber sorgen, daß Schön-Elschen nicht mit heimgehe, sondern eine Weile allein auf der Wiese sei. Der Jäger, der nicht besser war wie sein Herr und der sich durch die ergebene Beihilfe zu der ruchlosen Tat beim Ritter einzuschmeicheln gedachte, kam gehorsamst dem Befehle nach und ging als Händler verkleidet zur Mühle. Auch Hans Walter stieg zu Tal und wartet im Walde unweit der Wiese auf die Abberufung des Müllers. Kurze Zeit erst stand er, da rannte der Lehrjunge fast atemlos her und holte den Müller. Ein fremder Getreidemüller warte in der Mühle auf ihn. Kaum war der Müller außer Sehweite, da sprang Hans Walter über den Bach, um sich des Mädchens zu bemächtigen und auf die Burg zu entführen. Doch Elschen wehrte sich mit Gabel und Rechen und als der Unhold ihr diese entrissen, mit Faust und Zähnen, immerfort um Hilfe rufend. Der Müller hörte noch das Schreien seines Kindes und in furchtbarer Angst eilte er zurück. So sah der Ritter sein Vorhaben wieder vereitelt und in der Wut darüber zog er sein Schwert und erschlug Schön-Elschen. Dann entfloh er auf seine Burg.
Furchtbar war der Jammer der Müllersleute, als sie ihr armes Kind in seinem Blute liegen sahen. Wohl verklagten sie den Ritter, doch da sich niemand mit dem starken, gewalttätigen Hans Walter verfeinden wollte, fanden sie ihr Recht nirgends und die ruchlose Tat blieb ungesühnt. So war ihr einziger Trost, daß ihr Kind dem rohen Manne nicht zu Willen gewesen, sondern für seine Ehre gestorben war. Längst ist die Burg gebrochen, ja selbst der Felsen, auf dem sie stand, ist halb zerfallen. Auch von der Mühle ist jede Spur vergangen, doch:

Gibt von der Burg wie von der Mühl’
Nur noch die Sage Kunde,
heißt „Müllerels“ doch bis zur Stund
Die Wiese dort im Grunde